03 Gainsbourg an grauen Nachmittagen
Sie hatte ihn schlagen wollen. Einen Schlag ins Gesicht. Ausholen, weit ausholen und draufhauen. Mit voller Wucht in sein aufgedunsenes Gesicht schlagen. In sein glückseliges Lächeln. Weggetreten. Abgesoffen. Im hochprozentigen Nichts. Sie hatte sich zurückgehalten, ihn nach Hause geschleppt und erst dort ihre Nägel ausgepackt. Sie waren immer noch sorgsam gespitzt. Aus Vorsicht. Aus Angst. Sie hatte es befürchtet. Hatte nur gehofft und geglaubt. Es nicht gewusst. Ihre Schläge hatten gesessen deshalb. Jeder einzelne: Ausholen, Treffen, Versenken. Ausholen, Treffen, Versenken. Bis einige endlich durchkamen. Durch seinen glasigen Blick. In seiner aufgeschwemmten Leere ein Ziel fanden. Sich irgendwo fest bohrten. Hängen blieben. Weh taten. Sie hasste es. Und doch hatte sie bisher nie aufgegeben. Bisher.
 
Neben ihr bildeten die Nägel bereits einen Haufen. Ein Haufen aus Nagel-Worten. Anfangs hatte sie noch gedacht ihre Farben könnten die seinen schlagen. Das Rot ihrer Schuhe gegen seines. Gelbe Nachmittage gegen gelbes Leuchten im Aperitif. Der Haufen neben ihr war ihre letzte Waffe gewesen, ihre letzte Reserve. Umsonst. Mit einem Schwung wischte sie nutzlosen Krieger in den Kanal.
 
Sie hatte gehofft sie nie mehr gebrauchen zu müssen. Nach diesem Anruf vor einer Woche. Vor einer Woche und einem Tag. Ich bin draußen, hatte er ihr gesagt. Ich hab es geschafft, hatte er ihr gesagt. Sie haben mir sogar mein Rasierwasser wieder gegeben, hatte er ihr gesagt und sie hatte gelacht und ihm beim Tanzen am Quai über die Wange gestrichen, die weich gewesen war und glatt.
 
Gainsbourg hatte sie ihm gesagt, damals, Serge Gainsbourg darf man nie alleine an einem grauen Nachmittag hören. Grau hatte sie gesagt, damals, denn der Tag war gelb gewesen und rot und orange. Und die Musik hing in Fetzen in ihren Ohren.
 
 
© Christine Auerbach
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