Absinth
Dem armen Bruckheim wurde jetzt wirklich schwindlig. Ehe er sich versah, hatte er einen grünen Giftstrahl, eine Mischung aus Kotze und Absinth, auf Windhund und Dackel gespuckt. Dann war er, so schnell er konnte, nach draußen gerannt, in einen echten, feuchten, eisigkalten Dezembernebel, der ihn sogleich verborgen hatte hinter einer weißen Wand. Sind gekündigt hallte es ihm hinterher. Dann war er am Rande einer Baugrube, ein paar hundert Meter hinter dem Haushaltswarengeschäft, einfach zusammengebrochen, liegengeblieben, war irgendwann wieder aufgewacht, hatte nach Hilfe gerufen und in den Nebel gebrüllt, bis sich jemand über ihn gebeugt hatte. Brauchen Sie Hilfe, fragte dieser Jemand, hatten Sie einen Unfall. Auto sagte Bruckheim. Auto. Welches Auto? Was für ein Auto, fragte der andere. V nuschelte Bruckheim. V … Dann versank er, wie schon beschrieben, in jenem absoluten Nichts der Wortlosigkeit. Minutenlang sagte er nun gar nichts mehr. Ein eifelturmgroßes V pendelte aus schwarzer Nacht auf ihn herab, schlug auf seinen Kopf, der war so dumpf und schwer. Nichts, rein gar nichts fiel ihm mehr ein. Der Weg vor ihm schwankte. Der Kirchturm schwankte. Lichter stürzten auf ihn ein. Der Mann stützte ihn, führte ihn zur Straße zurück. Plötzlich, das Licht der Erkenntnis – das verdammte Wort war ihm gerade wieder eingefallen, klar und deutlich, quasi in Klarschrift, stand es nun vor ihm:
VOLVO, sagte Bruckheim schleppend, bringen Sie mich bitte zu meinem Volvo da hinten.
Gesagt getan. Der Mann verabschiedete sich und Bruckheim öffnete die Hintertür seines Autos. So gut es ging, machte er es sich auf der Rückbank bequem und fiel alsbald in einen tiefen, komatösen Schlaf, der von keinen bösen Geistern mehr gestört wurde. Am nächsten Morgen erwachte er in seiner klammen, von innen beschlagenen grünen Volvohöhle, in der es ekelerregend nach Erbrochenem, Anis und Fenchel stank.
Die Realität, dieser miese, kalte, neblige Ort, hatte ihn wieder.
 
Write Club Lesung 5.11.2006      © Max Schell
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