Absinth
Es war ein hochglanzpolierter Morgen gewesen, die Welt noch schön und neu, geradezu frisch lackiert. Bruckheim hatte sich einen Espresso gemacht, Milch erhitzt, die Milch schaumig geschlagen, so wie immer am Morgen. Eine Weile hatte er verträumt aus dem Fenster geblickt, im angenehmen Stadium des noch nicht ganz Wachseins. Schneeflocken waren hin und her getanzt, Dezemberschneeflocken, die sich schon auf Weihnachten freuten. Aus einer Laune heraus hatte Bruckheim nach dem Frühstück, statt seines guten alten Weinbrands, selbst gebrauten Absinth, Marke „Bruckheim-Brutal“, in seinen schwarzen Lederflachmann gefüllt. Er war nämlich Haushaltswarenhändler, und im turbulenten Weihnachtsgeschäft war die eine oder andere alkoholische Stärkung in der Tat schwer von Nöten. Zu Hause trank er ja nur noch Bier, doch während der Arbeitszeit gönnte er sich lieber ab und zu etwas Härteres. Den Absinth hatte er selbst hergestellt: er hatte ein paar Flaschen handelsüblichen Absinth gekauft, diesen mit österreichischem Strohrum verstärkt, das ganze mit wild gepflücktem Wermut, Sternanis und Fenchel vermischt, und abschließend etwa 2 Monate in einer verschlossenen 4 Liter Glaskaraffe gären lassen. Er hatte den weißen Schaum abgekippt und den grünlichen Sud durch ein feines Sieb gegossen – fertig war das hoch alkoholische Gesöff, angereichert mit zwei sehr feinen Pflanzengiften, nämlich Thujon und Tanaceton, die schon bei diversen Künstlern zu Nervenstörungen geführt hatten. Van Gogh, glaubte Bruckheim zu wissen, hatte sich im Absinthrausch immerhin ein Ohr abgeschnitten, das war ja schon mal gar nicht so schlecht. Mit dem Absinth im Flachmann und zwei Wurstbroten in der Tasche, war er vergnügt zur Arbeit aufgebrochen.
Morgen Herr Bruckheim, hatte Kollege Bilsenbichler gesagt.
Morden, hatte Bruckheim wie immer geknurrt.
Dann hatte er freundlich und genügsam wie er war, bis zum Nachmittag hunderte von Kunden bedient, die nass und verschwitzt in den Gängen hin und her gepurzelt waren und sich widerwillig in die Schlange eingereiht hatten, die von der Möbelabteilung über Haushalt und Küche bis zu Hauptkasse reichte. In der Mittagspause hatte Bruckheim beide Wurstbrote aufgegessen und dazu einen Schluck Absinth hinterher gespült. Die Welt – kurz nach Mittag ein kalter und beschissener Ort – fühlte sich sofort so bemerkenswert besser an, dass Bruckheim seine Besonnenheit ablegte und einen weiteren kräftigen Schluck aus seiner Pulle nahm.
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